Et bliev nix wie et wor

© Mario Rembold
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„Herr Bergfeld, jetzt verkaufen Sie uns nicht für dumm: Was hat es mit ‚Et bliev nix wie et wor’ auf sich?“ Der Glatzkopf sah mich mit seinen stechend blauen Augen an. Seinen Namen hatte ich mir nicht gemerkt. Auch war mir entfallen, von welcher Behörde er nun war. Bundesamt für Verfassungsschutz? Bundesnachrichtendienst? Beide Begriffe wurden irgendwann mal genannt seit meiner Verhaftung.

„’Et bliev nix wie et wor’ ist, nein, war eine Sammlung kölscher Kurzgeschichten“, antwortete ich wahrheitsgemäß. „Die Texte habe ich in den letzten eineinhalb Jahre geschrieben.“ „Dann geben Sie also zu, dass Sie der Täter sind!“ „Wie bitte? Ich habe diese Geschichten verfasst, aber das ist doch wohl keine Straftat!“ „Das werden wir noch sehen. Warum haben Sie diese ‚Geschichten’ verfasst?“ „Soll das ein Witz sein? Ich bin Autor und lebe davon! Das müssten Sie doch wissen, wenn Sie Ihre Hausaufgaben gemacht hätten!“ „Ja, genau. Ein Autor, der in Münster lebt, Kinderbücher für einen Berliner Verlag schreibt und so gar keinen biografischen Bezug zu Köln hat.“

Dieser Typ hatte wirklich keine Ahnung vom Leben eines Autors. Also versuchte ich, es ihm klarzumachen: „Diese Auftragsarbeit fand ausnahmsweise für einen Kölner Verlag statt. Man muss sich auch mal neuen Herausforderungen stellen.“ Das Kopfschütteln des Glatzkopfs verriet mir, dass er dieses Argument nicht gelten ließ. „Also schön“, räumte ich ein, „manchmal muss man eben auch nehmen, was man kriegen kann! Wenn ich meine Miete zahlen will, kann ich mir nicht immer bloß die Rosinen rauspicken!

Obwohl die ganze Zeit ein Aufnahmegerät mitlief, machte sich der Glatzkopf eine Notiz und blätterte in seinem Büchlein. „Kommen wir zu etwas anderem: Ihre E-Mails“. Er legte das Notizbuch beiseite und griff nach einem Stapel Papier. „Ich werde Ihnen jetzt daraus vorlesen:

1. Juni, 14:19 Uhr, Nachricht von Pitter: Et bliev nix wie et wor! Du weißt, wovon ich rede. Brauche Hilfe, sonst kann ich die Sache nicht durchziehen!

2. Juni, 8:34 Uhr, Nachricht von Jupp: Du warst leichtsinnig, Pitter! Doch ich kann Dir helfen bei Deinem Plan. Die große Kirche soll beben und die Ungläubigen sollen zittern. Maskierte werden durch die Straßen ziehen und die Herrschenden von ihrem Thron stürzen. Bist Du Dir sicher, dass Du das tun willst? Gehen wir nicht zu weit?

3. Juni, 10:06 Uhr, Nachricht von Pitter: Es muss getan werden, mein Freund! Drum lass uns das Feuer unter die Menschen bringen, auf dass die Züge nicht mehr rollen und die Zeit der ewig Wartenden endlich abläuft.“

Der Glatzkopf stoppte. „Ich könnte jetzt noch seitenweise weiterlesen!“, brummte er. „Wir wissen, dass Sie ‚Pitter’ sind, oder leugnen Sie das?“. „Nein, das leugne ich nicht“, antwortete ich. „Also: was waren das für Terrorpläne?“ Plötzlich glaubte ich, einen fast väterlichen Unterton herauszuhören. Als wollte er mir eigentlich nur helfen. „Das waren keine Terrorpläne“, antwortete ich entschlossen. „Ich bitte Sie, Bergfeld: Die Kirche soll beben und Ungläubige sollen zittern. Dann die Sache mit den Maskierten. Was Ihre Kontaktperson da schreibt, klingt für mich nicht gerade nach friedlichen Absichten.“

„Ja, das ist aus zwei der Kurzgeschichten, die für das ‚Et bliev nix wie et wor’-Buch vorgesehen waren. Während einer Predigt gibt es ein Erdbeben im Kölner Dom. Das Beben passt genau zu der gelesenen Bibelpassage, so dass alle Anwesenden denken, das jüngste Gericht habe begonnen. Dann stellt sich heraus: Kein Zorn Gottes und keine Naturkatastrophe, sondern bloß die Kölner U-Bahn war schuld!“ „Verarschen Sie mich nicht!“, knurrte der Glatzkopf. „In der anderen Geschichte“, fuhr ich fort, „ging es um den Kölner Karneval. Da wird halt immer das Rathaus gestürmt – deshalb die Sache mit den Maskierten, die die Regierung stürzen. Das ist dort Tradition. Wissen Sie vielleicht nicht, bei Ihrem Bildungsstand.“ „Schluss jetzt!“. Eine Faust schlug auf den Tisch. „Sie wollten Feuer unter die Leute bringen, und danach werden keine Züge mehr rollen! Ihre Worte! Die Zeit der Menschen läuft ab, schreiben Sie! Was soll das sein, wenn nicht ein Terroranschlag gigantischen Ausmaßes?“

„Ja, gut dass Sie das ansprechen. Das ist aus der Titelgeschichte des Sammelbands. In ‚Et bliev nix wie et wor’ beginnt alles damit, dass irgendwann in der Steinzeit eine kluge Frau an den Rhein kommt und den Menschen erklärt, wie sie Feuer machen können. Eine Revolution, denn von da an bleibt nichts mehr wie es war! Viele Tausend Jahre später wartet ein Mann am Bahnhof auf den Zug, der wieder mal Verspätung hat. Die Zeit rennt ihm davon. So viel neue Technik, sinniert unser Protagonist, und doch bleiben einige Dinge gleich. Denn in der Steinzeit wäre es ein Tagesmarsch bis nach Düsseldorf gewesen, und heute dauert die Reise wieder genau so lang. Von wegen ‚Nix bliev wie et wor’ einige Dinge ändern sich eben nie.“

Der Glatzkopf schwieg eine Weile, bevor er sich vorbeugte und mich anlächelte: „Herr Bergfeld, interessant finde ich, dass Sie solche Mails nicht von zuhause aus verschicken, sondern von einem WLAN-Hotspot in der Unimensa. Dumm nur, dass Ihr Laptop eine eindeutige MAC-Adresse hat. Unsere amerikanischen Freunde stellten uns freundlicherweise einen Datensatz zur Verfügung, aus dem hervorgeht, mit welcher Kreditkarte dieser Laptop bezahlt worden war. Nämlich – voilà – mit Ihrer!“

„Ja und? Ist das verboten?“, entgegnete ich lapidar. „Verboten nicht. Aber Sie könnten Ihre E-Mails doch auch bequem von zuhause aus schreiben!“ „Ja, könnte ich. Muss ich aber nicht!“ „Aber warum nutzen Sie dann ein anonymes Postfach ohne Ihren richtigen Namen? Wieso verwenden Sie zum Einloggen einen jungfräulichen PC, auf dem keinerlei persönliche Daten gespeichert sind, die Aufschluss über Ihre Identität geben? So etwas tut nur, wer unerkannt bleiben möchte.“ „Vielleicht wollte ich ja nur ein bisschen Privatsphäre!“, entgegnete ich, „Ihre Aktion beweist ja, dass wirklich gar nichts vor Ihnen sicher ist!“ „Wer nichts zu verbergen hat, muss sich nicht vor uns fürchten“, beschwichtigte der Glatzkopf. „Unsere Algorithmen schlagen nur bei besonders verdächtigen Stichworten an, die in spezifischen Kombinationen auftauchen – so wie in Ihren Nachrichten!“

Ich schwieg eine Weile und hoffte, dass ihm nicht die Schweißtropfen auf meiner Stirn auffielen. Jetzt ging es um alles! „Ich habe nichts Illegales getan“, beharrte ich, „Sie haben nichts gegen mich in der Hand!“ Der Glatzkopf ging darauf nicht ein. „Auch Ihre Kontaktperson Jupp nutzte ein offenes WLAN, nämlich das der Stadtbibliothek. Mit denselben Sicherheitsvorkehrungen.“ „Er wollte wohl auch anonym bleiben“, so mein Kommentar. „Sie beide waren extrem vorsichtig“, stellte der Glatzkopf fest. „Und Sie haben illegal in meiner Privatsphäre geschnüffelt!“, konterte ich.

„Terroristen zu fassen und Anschläge zu verhindern gehört zu unserem Job! Bei Gefahr im Verzug dürfen wir alles auswerten, was wir haben! Doch ich bin nicht Ihr Feind, Herr Bergfeld! Ich biete Ihnen die komplette Straffreiheit an. Das ist abgesegnet von ganz oben!“ Als ich etwas zu meiner Verteidigung sagen wollte, beugte sich der Glatzkopf wieder zu mir rüber: „Herr Bergfeld, lassen wir die Spielchen! Ich will offen zu Ihnen sein: Wir haben keine brauchbare Spur zu Ihrem Kontaktmann mit dem Decknamen Jupp. Seit Ihrer Verhaftung hat der seinen WLAN-Hot-Spot nicht mehr aufgesucht. Ich weiß nicht, wie Sie ihn warnen konnten, aber Sie haben uns ausgetrickst. Glückwunsch Herr Bergfeld! Ich könnte Sie jetzt irgendwo verschwinden lassen oder dafür sorgen, dass man Sie für immer wegsperrt. Doch ich bin Ihr Freund! Ich biete Ihnen eine Kronzeugenregelung an. Erzählen Sie uns, wo wir Jupp finden und was genau ihre Anschlagspläne sind! Wer steckt da alles mit drin? Ich will Namen! Außerdem sagen Sie mir, was in der Kurzgeschichtensammlung ‚Et bliev nix wie et wor’ wirklich zu lesen ist! Lassen Sie den Quatsch mit den kölschen Kurzgeschichten! Wie kann ich den Text entschlüsseln? Denn es müssen verschlüsselte Botschaften sein, sonst hätten Sie nicht diesen Aufwand betrieben!“

Ich holte zu einer Erklärung aus: „Jupp und Pitter sind ein und dieselbe Person.“, sagte ich, „deshalb konnten Sie Jupp nicht fassen, nachdem sie mich verhaftet hatten. Jupps E-Mails wurden von einem anderen Laptop aus verschickt. Ich habe lediglich für einen neuen Roman recherchiert und wollte testen, ob man auf diesem Wege wirklich unbemerkt kommunizieren könnte. Um sich in seine Figuren reinzuversetzen, muss man solche Dinge auch mal im echten Leben auf Plausibilität prüfen!“

Die Tür öffnete sich, und der Glatzkopf bekam einen dicken Ordner auf den Tisch gelegt. Er grinste. „Wo ist Ihr Werk eigentlich? Was ist mit ‚Et bliev nix wie et wor’ passiert?“ „Ging verloren“, sagte ich. Noch mehr Schweißtropfen auf meiner Stirn. Jetzt hing alles davon ab, was in diesem Ordner steckte!

„Sie haben die Festplatte mit den kölschen Texten verbrannt“, unterstellte mir der Glatzkopf, „gute Arbeit, da ließ sich wirklich nichts mehr retten!“ Er griff nach dem Ordner. „Aber glücklicherweise sammeln wir die Daten schon, bevor die Verbrechen begangen werden. Sie wissen schon, der Bundestrojaner! Wir haben den Stand Ihrer Festplatte, bevor Sie sie verbrannt haben.“ Dann sah ich, dass in dem Ordner alle Geschichten aus „Et bliev nix wie et wor“ ausgedruckt und sauber abgeheftet waren. „Den Code, Herr Bergfeld! Was steht da wirklich drin?“

„Ich mache von meinem Recht Gebrauch, die Aussage zu verweigern!“

Den Rest übernahm mein Anwalt. Die Kameraaufzeichnungen der Stadtbibliothek bewiesen, dass ich Jupps Nachrichten selbst verfasst hatte. Der zugehörige Laptop lagerte in einem Schließfach der Stadtbibliothek und enthielt nur DNA und Fingerabdrücke von mir selbst. Damit war der Vorwurf entkräftet, ich hätte mit irgendeinem Kontaktmann Informationen ausgetauscht, denn zu welchem Zweck sollte ein Terrorist sich selbst Nachrichten schicken? Und so hatte man nichts mehr gegen mich in der Hand. Doch bevor die Ermittlungen eingestellt wurden, hatte mein Anwalt vollständige Akteneinsicht beantragt und sich die Ausdrucke zu ‚Et bliev nix wie et wor’ aushändigen lassen.

Alles lief wie geplant – welch eine Erleichterung! Ja, ich war dumm und leichtsinnig gewesen. Über ein Jahr lang hatte ich meine Geschichten auf einem alten Notebook getippt, ohne ein einziges Backup anzufertigen. Dann hatte der Akku nicht nur seinen Geist aufgegeben, sondern war auch noch in mitsamt der Festplatte in Flammen aufgegangen. Meine monatelange Arbeit war dahin. Jetzt konnten mir nur noch die Geheimdienste dabei helfen, den Vertrag mit meinem Verlag einzuhalten. Dank Vorratsdatenspeicherung erscheint ‚Et bliev nix wie et wor’ noch vor Weihnachten im Buchhandel.

Mein nächstes Buch wird übrigens ein Agententhriller, der in der Domhauptstadt spielt.

∗Ende∗



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